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F&A: Ein großer Schritt für globale Datenschutzrechte

Zwei Personen stehen neben der Figur eines grauen Oktopus, der Handys in seinen Tentakeln hält
Der Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte (rechts) und der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (links) stehen mit einem symbolischen Oktopus, der einen der deutschen Geheimdienste repräsentiert, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe – 14. Januar 2020. © Ronald Wittek/EPA-EFE/Shutterstock

Im Frühjahr 2020 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) keine uneingeschränkte Massenüberwachung der Telekommunikation im Ausland durchführen darf. Vera Franz von der Open Society Foundations hat mit Malte Spitz von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (einem gemeinnützigen Verein in Deutschland, der mit strategischer Klageführung Grund- und Menschenrechte verteidigt) über dieses historische Urteil gesprochen.

Welchen Anteil hatte unsere Organisation daran, diesen Fall vor Gericht zu bringen?

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat diesen Fall ins Rollen gebracht und dabei mit einem Bündnis aus Medien- und Nichtregierungsorganisationen, einschließlich investigativen Journalisten und Menschenrechtsanwälten aus aller Welt, als Beschwerdeführer zusammengearbeitet. Wir haben Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz eingelegt, da es das anlasslose Abschöpfen und Speichern von Telekommunikationsdaten gestattet. 

Warum ist das ein historisches Urteil?

Das ist ein großer Sieg mit weitreichenden Folgen. Er ist besonders für die Menschen wichtig, die in Europa leben und arbeiten, aber er könnte sich praktisch auf jede Person, die im Internet aktiv ist, auswirken. 

Das Gericht ist zu dem Schluss gekommen, dass die deutsche Verfassung die Datenschutzrechte aller schützt – von Deutschen und Ausländern gleichermaßen. Bei diesen Rechten, so das Gericht, handelt es sich um grundlegende Rechte von Menschen – ungeachtet ihrer Nationalität. Das Gericht hat entschieden, dass der BND die anlasslose Massenüberwachung von Ausländern nicht fortsetzen darf.

Das Gericht hat außerdem festgestellt, dass diese Rechte unabhängig davon gelten, ob die Überwachung vom Inland oder vom Ausland aus erfolgt. Das ist das erste Mal, dass das Bundesverfassungsgericht ein so klares Urteil in dieser Sache gefällt hat.

Welche praktischen Konsequenzen hat dieses Urteil?

Die Entscheidung verhindert, dass der BND willkürlich Telekommunikationsdaten von Ausländern im Ausland erfasst. Anders ausgedrückt: Die Entscheidung sieht vor, dass der BND einem Aufsichtsorgan erklären muss, wer überwacht wird und warum. Im Prinzip sollte dies dazu führen, dass der BND, der eng mit ausländischen Nachrichtendiensten zusammenarbeitet, weniger Daten erfasst und weitergibt.

Die Entscheidung wirkt sich z. B. darauf aus, wie der BND mit der US-Sicherheitsbehörde NSA zusammenarbeitet, die einer der größten Empfänger der vom BND erfassten Daten ist. Diese Zusammenarbeit war ein wesentlicher Grund zur Besorgnis für Verfechter des Datenschutzes, da sie auf einer vagen Begründung beruht, gemäß der der BND aus „außen- und sicherheitspolitischen“ Gründen Telefonate und die Internetaktivitäten von Menschen ausspionieren darf. Das Urteil schränkt diese allgemeine Praxis beträchtlich ein.

Warum sollten sich normale Bürger in Deutschland deshalb Sorgen machen?

Diese Massenerfassungen von Daten bedrohen die Integrität und Gesundheit einer freien und funktionierenden Presse. Das betrifft uns alle – sowohl als Einzelpersonen als auch als Staaten –, da eine freie Presse zu unser aller Vorteil ist.

Wir können nicht von anderen Staaten erwarten, dass sie unser Recht auf Datenschutz respektieren, wenn wir umgekehrt die Rechte ihrer Bürger nicht respektieren. Diese Entscheidung wird vielleicht eines Tages als erster Schritt in Richtung einer gegenseitigen Achtung der Rechte gesehen werden – unabhängig von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsort. Die Gerichte in anderen Staaten könnten sich das Urteil unseres Gerichts ansehen und ihm beipflichten.

Viel unmittelbarer werden jedoch die Auswirkungen auf die Menschen sein, die von der Überwachung am stärksten betroffen sind. Ein Hauptargument gegen die Massenerfassung von Daten durch Auslandsgeheimdienste ist, dass dadurch Regierungen Zugang zur gesamten Kommunikation zwischen Journalisten und ihren Quellen erhalten würden. Wenn potenzielle Whistleblower und andere Personen mit Informationen, die von öffentlichem Interesse sind, Kenntnis von einer solchen Art der Überwachung haben, werden sie weniger bereit sein, sich an die Öffentlichkeit zu wenden.

Glauben Sie, dass die Entscheidung des deutschen Gerichts Einfluss auf die Überwachungspraktiken anderer Länder haben wird? 

Siege in Deutschland und andernorts mögen ein Schritt in die richtige Richtung sein, aber in anderen Ländern benutzen Regierungen Bestimmungen zu Staatsgeheimnissen, um sich zu schützen. 

In den USA stocken Gerichtsverfahren gegen die Massenüberwachung der NSA, weil die Regierung anführt, dass die notwendigen Unterlagen, die für eine Entscheidung des Gerichts erforderlich sind, aus Staatssicherheitsgründen nicht als Beweise vorgelegt werden können. In Deutschland werden das BND-Gesetz und das verwandte G10-Gesetz sowie ihre technologischen Aspekte öffentlich diskutiert. Daher kann ihre Rechtmäßigkeit einfacher infrage gestellt werden. Aber wir gehen davon aus, dass die Entscheidung unseres Gerichts Einfluss auf die Gerichte in anderen EU-Ländern haben wird.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte erhält finanzielle Zuwendungen von der Open Society Foundations.

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