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Die Standhaftigkeit der Ukraine

Menschen laufen an Panzersperren vorbei
2. Mai 2022: In Kiew laufen die Menschen auf dem Platz der Unabhängigkeit an Panzersperren vorbei. © Sergei Chuzavkov/SOPA/Newscom

Für die Einwohner*innen von Kiew ist der Beginn des Monats Mai seit jeher eine besondere Zeit. Der Frühling, die schönste aller Jahreszeiten, beginnt und die Bäume stehen in voller Blüte. Der Kastanienbaum ist das Wahrzeichen der Stadt und während die Blüten der Bäume in voller Pracht erstrahlen, denken wir unweigerlich an die Zukunft und die besseren Zeiten, die uns hoffentlich bevorstehen.

Kiew einzunehmen ist den russischen Truppen nicht gelungen und so zogen sie sich Anfang April aus der Region zurück. Kurz danach kehrten bereits die ersten Einwohner*innen Kiews zurück und mit ihnen erwachte auch die Stadt wieder zu neuem Leben. Die Lage ist noch immer angespannt und doch lassen sich die Menschen ihre Wochenendausflüge nicht nehmen und strömen in die Parkanlagen und Boulevards ihrer Stadt. Kinder spielen wieder in den Straßen, in denen Cafés und Restaurants ihre Türen öffnen. Wie ein Großteil der Stadt kehren auch die öffentlichen Verkehrsmittel wieder zum Normalbetrieb zurück. Fuhr noch vor drei Wochen lediglich eine Bahn pro Stunde, werden inzwischen wieder alle drei Metro-Linien bedient und alle 10 bis 15 Minuten fährt eine Bahn. Auch fahren inzwischen wieder mehr als die Hälfte aller Busse.

Nahrungsmittel gibt es genug in Kiew, doch Treibstoff ist noch Mangelware. Zwei Drittel aller Tankstellen haben weder Benzin- noch Dieselvorräte und häufig ist nur Propangas im Angebot. Vor den wenigen Tankstellen, die noch Kraftstoff anbieten, bilden sich lange Schlangen. Infolgedessen sind deutlich weniger Autos auf den Straßen zu sehen.

Unsere Informationen beziehen wir aus offiziellen und unabhängigen Quellen, denen wir unserer Meinung nach vertrauen können. Viele Ukrainer*innen folgen Blogger*innen, die vor Ort berichten, und teilen diese Informationen über verschiedene Kanäle, so etwa in Facebook- oder Telegram-Gruppen.

Warum Ukrainer*innen zu diesem Leben in Kiew zurückkehren? Weil die Vitalität und die Dynamik dieser Stadt angesichts einer großangelegten Invasion ein Symbol des Lebens für uns darstellen. Dennoch sind wir uns dessen bewusst, dass zu ebendiesem Leben ab sofort auch die wöchentlichen Raketeneinschläge gehören werden, und das möglicherweise für eine lange Zeit. Wir sind dem Westen für seine Hilfe in Form von Waffenlieferungen und Sanktionen äußerst dankbar, aber ewig kann es so nicht weitergehen.

Auf einem Bahnhof hält eine junge Frau ein Kind
4. Mai 2022: Im ukrainischen Slowjansk wartet eine Familie aus der Region Donetsk auf den rettenden Zug nach Lwiw. © Iva Zimova/Panos/Redux

Inzwischen wurde die erste Tranche an Hilfsmitteln aus dem Ukraine Democracy Fund ausgeschüttet, um Menschen zu helfen, die ihre Heimat verlassen mussten, aber in der Ukraine geblieben sind, insbesondere im Westen des Landes. Diese Menschen stammen aus den Regionen, die am meisten von diesem Krieg in Mitleidenschaft gezogen wurden. Während der Belagerung ihrer Dörfer und Städte durch die russische Armee war ihr Leben in ständiger Gefahr und so waren sie gezwungen, ihre Heimat zurückzulassen. Um die Schutz‑ und Hilfsbedürftigen unter ihnen, wie etwa ältere Menschen oder aber Menschen mit Behinderung oder schwerer Vorerkrankung, kümmern sich Freiwilligenorganisationen, die wiederum von uns unterstützt werden. Einige waren gezwungen die beschwerliche Flucht mit Krebs, Leukämie oder einer anderen chronischen Erkrankung anzutreten. Die Freiwilligen helfen dabei, Schutz‑ und Hilfsbedürftige zu versorgen. Wir helfen außerdem Ortschaften, die bereit sind Vertriebene aufzunehmen, beim Ausbau ihrer logistischen Kapazitäten zur erfolgreichen Bewältigung der Flüchtlingsströme.

Unsere Organisation, die International Renaissance Foundation, leistet gute Arbeit, die sich allerdings sehr von unserer Arbeit in Friedenszeiten unterscheidet. In Lwiw haben wir für die nächsten zwei oder drei Monate unser neues Hauptquartier aufgeschlagen. Das alte Büro in Kiew wird derweil als Basis für die Koordinierung der Freiwilligen in der medizinischen Versorgung genutzt. Auch unsere eigenen Mitarbeiter*innen und Board‑Mitglieder nutzen das Büro inzwischen wieder für ihre Versammlungen. Die Mitarbeiter*innen anderer Einrichtungen, wie z. B. Botschaften, kehren ebenfalls zurück und selbst Würdenträger*innen aus dem Ausland besuchen die Stadt. Bei unseren Treffen mit anderen Geldgeber*innen sprechen wir darüber, wie wir unser Land nach dem Krieg wieder aufbauen wollen, und über eine Zukunft, in der die ukrainische Zivilgesellschaft zu neuer Stärke gefunden haben wird.

Ich bin gerne in Kiew. Für mich ist die Stadt eine Festung der Freiheit und ein Symbol für die Welt. Das Wesen dieser Stadt ist bemerkenswert. Trotz allem, was gerade passiert, ist die Grundstimmung hier positiv. Wir wissen genau, dass der Krieg noch nicht vorbei ist, und natürlich beugt sich unser Optimismus der Realität. Die Bürger*innen Kiews sind Helden, die sich mutig den Herausforderungen der Gegenwart stellen, während sie hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Wir wissen um den hohen Preis für unsere Freiheit, aber immer, wenn ich in Kiew bin, fühle ich mich freier als je zuvor.

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