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Die Zivilgesellschaft in der Ukraine verteidigen

Menschen transportieren Kisten in einem Zug
Freiwillige Helfer transportieren Hilfsgüter an einem Bahnhof in Kiew, Ukraine, am 3. März 2022. © Diego Herrera Xinhua/eyevine/Redux

An dem Tag, an dem Russland mein Land überfiel, wusste ich, dass ich meine Heimat in Kiew würde verlassen müssen. Es war wichtig, die von mir geleitete ukrainische International Renaissance Foundation weiterhin arbeitsfähig zu halten und unsere Stipendiat*innen, Partner*innen und Verbündeten in der Zivilgesellschaft zu unterstützen, auch wenn bereits Bomben fielen. Als die Armee des russischen Präsidenten Putin begann, die ukrainische Hauptstadt anzugreifen, machte ich mich mit dem Auto auf den Weg nach Westen. Eine Fahrt, die normalerweise fünf Stunden dauert, dauerte nun 15 Stunden. Doch heute würde dieselbe Fahrt noch wesentlich länger dauern, da Tausende meiner Landsleute vor der Gefahr fliehen und auf der verzweifelten Suche nach Sicherheit die Autobahnen verstopfen.

Es war wichtig für mich, in der Ukraine zu bleiben. Der illegale Krieg Russlands dauert nun schon fast zwei Wochen und wir haben sehr viel Arbeit vor uns. Die Fahrten zu verschiedenen Krankenhäusern gehören mittlerweile zu unserem Alltag. Dabei transportieren wir dringend benötigte Medikamente und Vorräte zur Versorgung der Verwundeten. Einige helfen bei der Lieferung von Material an die ukrainischen Streitkräfte und unterstützen unsere Nachbarn beim Bau von Befestigungen zum Schutz unserer Städte. Andere arbeiten mit lokalen Wirtschaftsverbänden zusammen, um den Aufbau von Lieferketten zu unterstützen. Unzählige Freiwillige helfen älteren Menschen, Behinderten, Frauen und Kindern bei der Bewältigung der vielen Herausforderungen, die mit der Umsiedlung verbunden sind. Das reicht von der Finanzierung des Treibstoffs für den Transport bis hin zur Bereitstellung von Lebensmitteln, die sie zum Überleben brauchen.

Unsere Menschenrechtsaktivist*innen sind intensiv damit beschäftigt, Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Die russischen Streitkräfte haben jegliche Absicht aufgegeben, sich nur auf militärische Ziele zu beschränken. Stattdessen bombardieren sie wahllos Betriebe, Büros, Einkaufsläden und Wohnhäuser. Im Zuge der schlimmsten Bodenoffensive seit dem Zweiten Weltkrieg werden ganze Städte in Schutt und Asche gelegt. Es wird wichtig sein, Beweise für Putins Taten zu sammeln und zu sichern, um sie internationalen Gerichten und Tribunalen vorzulegen, damit eines Tages ein gerechtes Urteil gefällt werden kann. Auch die Stimmen der lebendigen ukrainischen Zivilgesellschaft müssen geschützt werden, denn wir wissen, dass diese Verteidiger*innen von Demokratie und Freiheit ganz oben auf Putins Abschussliste stehen.

Dies sind nur einige der Maßnahmen, die die ukrainische Zivilgesellschaft ergreift, um sich der brutalen und illegalen Aggression Russlands zu widersetzen und die Errungenschaften zu bewahren, die das ukrainische Volk in den letzten 30 Jahren erreicht hat. Damals sind wir aus den Trümmern der ehemaligen Sowjetunion entstanden und haben uns auf den Weg zu einer Demokratie gemacht. Ich bin stolz darauf, dass unsere philanthropische Stiftungsgruppe Open Society Foundations (OSF) eine erste Unterstützung in Höhe von 25 Millionen Dollar für den Ukraine Democracy Fund angekündigt hat, um das, was hier aufgebaut wurde, zu bewahren und weiter zu entwickeln. Gleichzeitig hat OSF auch andere Unterstützer*innen dazu aufgerufen, sich an dieser wichtigen Aufgabe zu beteiligen.

Der Bedarf ist enorm, und es steht sehr viel auf dem Spiel. Denn was auch immer Putin dem russischen Volk erzählen mag, um diesen abscheulichen und völlig illegalen Krieg zu rechtfertigen: Wir wissen, dass dieser Krieg anders ist als die meisten Aggressionen in der Geschichte der Menschheit. Denn er wurde nicht durch einen tatsächlichen Konflikt zwischen Nationen ausgelöst, sondern durch den Fieberwahn eines gefährlichen Diktators.

Die meisten Kriege in unserer Geschichte hatten einen konkreten Grund: religiöse Differenzen, Zusammenstöße zwischen ethnischen Gruppen, ein Kampf um den Zugang zu Land, dem Meer oder natürlichen Ressourcen. Bei Putins blutigem Angriff auf die Ukraine geht es um nichts von alledem. Es geht um sein völlig irres Verlangen, den Großmachtstatus des russischen Imperiums wiederzuerlangen. Dazu bedient er sich der Mythologie des 17. und 18. Jahrhunderts und erfindet ein Märchen über die Gebiete um Kiew. In seiner Vorstellung gehört mein Land natürlich zu seinem. Das tut es nicht und hat es auch nie getan. In seiner verzerrten Weltanschauung kann er jedoch die Existenz der Ukraine nicht akzeptieren.

Sein Hass auf mein Heimatland wird durch die Entscheidung der Ukraine geschürt, sich vom sowjetischen Modell abzuwenden und eine völlig andere Richtung einzuschlagen. Das russische System ist auf Hierarchien und die Unterordnung unter eine starke Zentralmacht aufgebaut. Die Ukraine hat jedoch eine Tradition der Selbstbestimmung und hat den Weg zu einer demokratischen, pluralistischen und offenen Gesellschaft gewählt. Wir sind noch nicht am Ziel, aber wir sind auf dem Weg dorthin. Und wir werden uns nicht unterwerfen lassen. Und das kann Putin nicht ertragen.

Er sieht sich selbst als Mann des Schicksals. In Russland hat er eine starke autoritäre Herrschaft errichtet. Er hat jeden verhaftet, der es wagte, ihn zu kritisieren. Die Zivilgesellschaft in Russland hat er zerstört und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine gewisse wirtschaftliche und militärische Macht wiederhergestellt. Er hat alles bekommen, was er wollte – bis auf die Ukraine. Er hat mehrmals versucht, dieses Land zu unterwerfen – und ist gescheitert. Und mit jedem Jahr wurde er wütender und zorniger darüber.

Er glaubt, Russland und die Ukraine seien eine Nation. Aber genau diese grundlegende Fehleinschätzung der Situation erklärt, warum der Widerstand der Ukraine so stark ist. Putins Meinung zur Ukraine ist eine existenzielle Bedrohung für unser Volk. Dabei geht es nicht um ein Stück Land. Es geht um unser Recht zu existieren. Und deshalb sind die Menschen so fest entschlossen, das zu verteidigen, was uns gehört. Dabei hat das russische Ziel, die Ukraine zu unterwerfen vor allem eines bewirkt: Es hat die verschiedenen Teile des Landes zu einem unzerreißbaren Band miteinander verflochten und uns geeint wie nie zuvor.

Als ich an dem Tag, an dem die Bombardierung begann, in Richtung Westen fuhr, begleitete mich mein Sohn. Er ist 21 Jahre alt und damit ungefähr so alt wie ich, als die Ukraine ihre Unabhängigkeit erlangte. Wir arbeiteten einige Tage gemeinsam, aber schon bald spürte er den Wunsch, nach Kiew zurückzukehren. Wir haben dort ältere Familienmitglieder, die nicht mit uns kommen konnten. Er empfand es als seine Pflicht, in den kommenden dunklen Tagen an ihrer Seite zu bleiben. Ich bin stolz auf meinen Sohn. Ich bin stolz auf mein Land.

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