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Fragen und Antworten: Journalisten im Fadenkreuz

Videojournalist*innen und Reporter*innen stehen um einen Mann mit Autoreifen im Hintergrund
18. April 2022: Journalist*innen sprechen mit dem Inhaber einer Autowerkstatt in Lwiw, die durch einen Raketeneinschlag zerstört wurde. © Markiian Lyseiko/Ukrinform/Getty

Journalist*innen in Kriegsgebieten sehen sich einer Vielzahl von Gefahren ausgesetzt. Vor besonders schweren Herausforderungen stehen aktuell die freien Medien der Ukraine. Denn sie kämpfen an zwei Fronten: Unter akuter Bedrohung ihres eigenen Lebens durch aktiven Waffenbeschuss bringen sie unter widrigsten Umständen die grausamen Kriegsverbrechen Russlands ans Licht und sehen sich gleichzeitig den unaufhörlichen Lügen der russischen Propaganda gegenüber, mit denen ihre harte Arbeit diskreditiert und der Ukraine jedwedes Existenzrecht abgesprochen werden soll. Als Leiter des Programms für soziales Kapital der ukrainischen International Renaissance Foundation unterstützt Stanislav Liachinskiy seine Medienpartner*innen in der Region. Über die Herausforderungen für ihren Kampf hat er mit uns gesprochen.

Konnten Sie seit Beginn der russischen Invasion im Februar überhaupt Ihrer Arbeit nachgehen?

Ich arbeite in Kiew. Am frühen Morgen des 24. Februars hörten wir die Sirenen. Ich habe Kiew verlassen und mich in die Zentralukraine begeben. Nach dem Rückzug der russischen Truppen bin ich nach Hause zurückgekehrt. Viele meiner Kolleg*innen halten sich noch immer im Westen des Landes auf. Der Umzug hat uns die größten Probleme bereitet. Doch auf die Fernarbeit selber waren wir dank der Pandemie bereits bestens eingestellt und so konnten wir unsere Arbeit fortsetzen.

Welchen Herausforderungen stehen die unabhängigen Medien der Ukraine Ihrer Meinung nach aktuell gegenüber?

Unsere Stiftung fördert die unabhängigen Medien der Ukraine bereits seit ihrer Gründung vor etwa 30 Jahren und leider ist das aggressive Vorgehen Russlands für uns bei weitem kein neues Problem. Seit dem Euromaidan 2014 arbeite ich mit meinen Kolleg*innen bereits in der Krisen- und Nachberichtserstattung. Und seit der Annexion der Krim sehen wir uns zudem der russischen Propaganda und einer Flut von Falschmeldungen gegenüber.

Schon vor der Invasion im Februar haben wir gefährdeten Journalist*innen bei ihrer Suche nach Zuflucht und einer sicheren Unterkunft geholfen. Doch auf einen derart akuten Bedarf an Sicherheits- und Schutzausrüstung sowie an Umzugsmaterialien und sicheren Zufluchtsorten alleine für die Berichterstattung über die aktuellen Ereignisse waren wir nicht vorbereitet. Während der ersten Gespräche mit unseren Partner*innen in Lwiw über unsere Notfallplanung hatte ich noch die Hoffnung, dass es nicht notwendig werden würde, dauerhaft Büros und Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Diese Hoffnung wurde aber schon bald danach zerschlagen.

Die Kriegsberichterstattung unter ausgerufenem Kriegsrecht ist äußerst schwierig. Denn auch die Pressefreiheit wird dadurch eingeschränkt. Und dennoch setzen tausende von vertriebenen ukrainischen Journalist*innen ihre Arbeit unbeirrt fort.

Können Sie uns eine Unterkunft für vertriebene Journalist*innen beschreiben? Wie ist es dort?

Nach den ersten Bombenangriffen haben viele Journalist*innen zunächst in Lwiw im Westen der Ukraine Schutz gesucht. Dort haben unsere Partner*innen des Lviv Media Forums einen Zufluchtsort mit Wohn- und Arbeitsräumen eingerichtet. Dort können sich unsere Kolleg*innen ausruhen und psychologische Traumahilfe in Anspruch nehmen. Auch Schutzausrüstung steht ihnen dort zur Verfügung. Etwa ein Drittel unseres Landes wurde bereits durch den Krieg zerstört. Millionen von Ukrainer*innen wurden aus ihren Heimatorten vertrieben und bringen uns Erzählungen vom Kriegsgeschehen. Wir haben einen so hohen Hilfsbedarf nicht erwartet und Unterstützung wird auch weiterhin benötigt.

  • Vor einem Stapel aus Kisten sitzen zwei Personen an ihren Laptops
    18. April 2022: Journalist*innen arbeiten im Co-Working-Space eines Refugiums für vertriebene Journalist*innen des Lviv Media Forums. © Artur Zajac/Lviv Media Forum
  • Eine Person sitzt vor einigen Kisten im Hintergrund an ihrem Laptop
    13. April 2022: Journalistische Arbeit im Co-Working-Space eines Refugiums für vertriebene Journalisten des Lviv Media Forums. © Artur Zajac/Lviv Media Forum
  • Zwei Personen schauen sich eine professionelle Kamera an
    15. April 2022: Internationale Journalist*innen im Co-Working-Space eines Refugiums für vertriebene Journalist*innen des Lviv Media Forums. © Artur Zajac/Lviv Media Forum
  • Eine Schutzweste mit der Aufschrift "PRESSE"
    18. April 2022: Eine ballistische Weste für Pressemitarbeiter*innen liegt in einem Refugium für vertriebene Journalist*innen des Lviv Media Forums zur Ausgabe bereit. © Artur Zajac/Lviv Media Forum

Der unabhängige Journalismus stand schon vor Kriegsausbruch vor enormen Herausforderungen. Doch selbst jetzt setzen die Journalist*innen ihre Arbeit fort. Wie ist das möglich?

Am stärksten hat es die Medienhäuser getroffen, deren wirtschaftliches Überleben von Werbeinnahmen abhängt. Der Anzeigenmarkt ist buchstäblich zum Erliegen gekommen. Doch selbst unter diesen harten Bedingungen ist eine unabhängige Berichterstattung durchaus möglich. So hat sich etwa der Kyiv Independent als Nachfolger der Kyiv Post seit Ende 2021 mit seiner hervorragenden Berichtserstattung über das Kriegsgeschehen entgegen widriger Umstände behaupten können. So wuchs die Zahl der Twitter-Follower des Kyiv Independent von etwa 5.000 im Januar auf inzwischen 2 Millionen. Zunächst halfen wir den Kolleg*innen bei ihrer Berichterstattung und bei der Sicherung des wirtschaftlichen Überlebens ihres Unternehmens. Eine unserer Aufgaben bestand dabei in der Diversifizierung ihrer Einnahmequellen. Wir erreichten beispielweise höhere Spendeneinnahmen durch eine stärkere Interaktion mit dem Zielpublikum des Kyiv Independent. Hierbei spielt Crowdfunding eine wichtige Rolle und auch Fördermittel sind inzwischen ein wichtiger Bestandteil der Finanzierung. Wir arbeiten auch weiterhin mit den Kolleg*innen der Open Societies Foundations zusammen und unterstützen so die unabhängigen Journalist*innen am Ort des Kriegsgeschehens. Als eines der ersten Hilfsangebote konnten wir den Medien vor Ort innerhalb nur weniger Tage wertvolle Notfallunterstützung zukommen lassen. So haben wir bis heute insgesamt 20 Redaktionen beim Umzug ihrer Mitarbeiter*innen und der Fortsetzung ihrer unerlässlichen Arbeit unterstützen können.

Neben Bomben und Kugeln sehen sich Journalist*innen auch einer unaufhörlichen Flut von Falschmeldungen der russischen Propaganda gegenüber. Welche Erfahrungen haben Sie im Kampf gegen Putins Propaganda-Maschine sammeln können?

Russlands oberstes Ziel besteht in der vollständigen Unterwerfung der Medienlandschaft. Unabhängige Stimmen sollen zum Schweigen gebracht und Inhalte im Internet kontrolliert werden. Russland verfolgt dabei die klassische Strategie eines autoritären Staates: Die Informationssphäre unter die Kontrolle des Staates stellen und der Öffentlichkeit so dessen Weltanschauung aufzwingen. Der Informationskrieg gehört zur russischen Militärdoktrin. In der Ukraine sollen Furcht und Zwietracht geschürt und die russischen Truppen so zum Sieg geführt werden.

Hier stehen die sozialen Medien in der Verantwortung. Es werden Regeln und geeignete Kriterien für die Sperrung entsprechender Inhalte benötigt. Dies zu akzeptieren war nicht einfach, denn meine Karriere begann mit dem Kampf gegen die Zensur. Doch Russland und seine Sympathisanten säen und verbreiten unter dem Deckmantel der Meinungs- und Redefreiheit nur Zwietracht und Lügen.

Natürlich wird es im Kampf gegen Propaganda immer Rückschläge geben. Eine Lüge wird enttarnt und die nächste Lüge nimmt bereits ihren Platz ein. Hierzu bedarf es ununterbrochener Aufmerksamkeit und Überwachung. Wir müssen der Welt zeigen, dass die Wahrheit ebenso entscheidend ist wie Fakten und hochwertiger Journalismus. Lügen und Falschmeldungen müssen selbst – und erst recht – in Zeiten des Krieges aufgedeckt werden. Langfristig ist hierfür kritisches Denken und Medienkompetenz erforderlich. Es mag vielleicht Jahrzehnte dauern, aber nur so kann Propaganda auf lange Sicht besiegt werden.

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